„Unter den derzeitigen Arbeitsbedingungen in Kindertagesstätten ist es schwierig, den Beruf als Pädagogin oder Pädagoge gesund bis zur Rente auszuüben“, sagt Daniela Großmann. Doch was müsste sich ändern, um den Arbeitsalltag zu verbessern? Auf der Suche nach einer Antwort begann die Sozialpädagogin an der HTWK Leipzig zu forschen.
Mehrere hundert Kita-Erzieherinnen und -Erzieher zogen am Weltkindertag 2018 durch die Leipziger Innenstadt. Ihr Anliegen: auf die schlechten Arbeitsbedingungen hinweisen. Sie forderten mehr Personal, einen besseren Betreuungsschlüssel und vor allem mehr Zeit für die Kinder. Im Folgejahr wurden zwar mehrere Kitas neu eröffnet und damit weitere Kita-Plätze geschaffen, doch es mangelt weiterhin an Fachkräften.
Die Sorgen und Nöte von pädagogischen Fachkräften, Kita-Leitungen und Eltern kennt auch Daniela Großmann gut. Die 40-Jährige ist selbst zweifache Mutter. Nach ihrer Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau und ihrem Sozialpädagogik-Studium arbeitete sie ab 2011 in Kitas. In Gesprächen beklagten Kolleginnen und Kollegen immer wieder die gleichen Probleme: stetiger Personalausfall oder -wechsel, zu große Kindergruppen, immer mehr Aufgaben, höhere fachliche Anforderungen und zusätzlicher Stress durch An- und Umbauten der Einrichtungen.
Erste Regionalstudie
Großmann wollte deshalb herausfinden, wie zufrieden Fachkräfte und Kita-Leitungen in Leipzig tatsächlich mit ihrer Arbeit sind. Im Juli 2016 begann sie für ihre kooperative Promotion an der HTWK Leipzig und der Universität Leipzig zu forschen. In einer empirischen Vergleichsstudie untersuchte sie am Beispiel von zehn Leipziger Kitas die Arbeitszufriedenheit und das Belastungsempfinden von Fachkräften. Diese arbeiteten entweder nach dem pädagogischen Handlungskonzept des Situationsansatzes oder der offenen Arbeit. Weder eine solche Regionalstudie noch einen konzeptionellen Vergleich gab es bislang.
Beim etablierten Situationsansatz greifen die Fachkräfte alltägliche Lebenssituationen der Jungen und Mädchen in ihrer feststehenden Kindergruppe auf, um sie auf eine selbstbestimmte Lebensführung vorzubereiten. Hingegen stehen in der offenen Arbeit die Selbstbildungsprozesse der Kinder stärker im Fokus, die Fachkräfte geben lediglich Impulse. Die Kinder können dabei selbst wählen, mit wem und in welchem der zugehörigen Funktionsräume, zum Beispiel in der Kinderküche, im Bau- oder Musikzimmer, sie ihre Zeit verbringen.
Einige „völlig überfordert“
Für ihre Doktorarbeit beantworteten die Fachkräfte einen Fragebogen mit mehr als 600 Einzelitems. Insgesamt 74 Pädagoginnen und Pädagogen antworteten; die zehn Kita-Leiterinnen gaben zusätzlich Interviews. „Bei der Auswertung bestätigte sich weitestgehend, was die Medien suggerieren“, so die Doktorandin: Über die Hälfte der pädagogischen Fachkräfte gab an, mit den Arbeitsanforderungen mindestens „zunehmend“ bis „völlig überfordert“ zu sein. Auch die Leiterinnen berichten von einer grundlegend hohen Arbeitsbelastung. Das Stimmungsbild zeigte außerdem, dass die Leiterinnen und Fachkräfte des Situationsansatzes insgesamt ein wenig zufriedener in ihrem Tätigkeitsfeld sind als jene der Offenen Arbeit. Diese sprachen sich hingegen positiver in Bezug auf Gebäude, Ausstattung, verfügbare Finanzen sowie den Zugang zu Weiterbildungen aus.
Kleinere Gruppen gewünscht
Um die hohe Arbeitsbelastung zu mindern, wünschen sich die Befragten vor allem einen besseren Personal- und Betreuungsschlüssel. „Wären die Gruppen kleiner, würden viele Probleme wegfallen oder zumindest besser zu handhaben sein“, meint eine Kita-Leiterin.
Gerade in Krankheitszeiten sei die Belastung sehr hoch, weil dann durchschnittlich 20 Kinder gleichzeitig betreut werden müssen. „In dieser Zeit tun mir die Kinder sehr leid“, so eine Erzieherin. Mehr Zeit wünschen sich die Befragten auch, um die Entwicklung der Kinder beobachten oder neue Projekte planen zu können, um neue Kompetenzen zu erwerben, ihre pädagogische Arbeit weiterzuentwickeln und die Zusammenarbeit mit den Eltern voranzubringen. Auch eine Entlastung bei den Verwaltungsaufgaben sei dringend erforderlich.
Überraschend war für Großmann, dass Teams in der Offenen Arbeit eher Berührungsängste gegenüber Kindern aus anderen Kulturen oder mit Behinderungen haben als Teams im Situationsansatz. Dabei seien Integration und Inklusion in allen Einrichtungen zentrale Anliegen, doch bei den derzeitigen Arbeits- und Rahmenbedingungen nur begrenzt umsetzbar.
Politik aufgefordert
Im Februar 2021 beendete Großmann ihre Dissertation: „Eines ist klar: Nur mit verbesserten Arbeitsbedingungen sowie Zeit und Raum für Kompetenzentwicklung können Kitas ihren Arbeitsauftrag in der gewünschten Qualität leisten.“ Pädagoginnen und Pädagogen haben eine hohe Verantwortung für die Kinder. Eine adäquate Erziehung, Betreuung und Bildung ist aber nur mit einer Entlastung der aktuellen Arbeitssituation zu ermöglichen. Oder mit den Worten einer Erzieherin aus Großmanns Studie: „Die Politik darf nicht die Augen vor der schlimmen Situation in Kitas schließen, denn es geht um die Menschen, die in 20 Jahren unsere Gesellschaft mitgestalten werden.“
Dieser Text erschien zuerst im Forschungsmagazin Einblicke 2020/21 der HTWK Leipzig. Hier können Sie das Magazin digital lesen oder kostenfrei abonnieren.